vier Personen wandern einer Schneespur hinterher / Skitouren - Ein Mittel gegen den Corona Frust

Skitouren - ein Mittel gegen den Corona-Frust

Keine Frage. Corona hat den Wintertourismus und die Skiindustrie schwer getroffen. Vorzeitige Schließungen der Wintersportgebiete und eine erschwerte Zukunftsplanung haben für einen signifikanten Orderrückgang bei den Ski-Herstellern gesorgt:

„Im Vergleich zum Vorjahr haben wir in diesem Jahr einen circa 20 bis 25 Prozent niedrigeren Orderstand“,

berichtet Wolfgang Mayrhofer[1], Sprecher der österreichischen Skiindustrie.

Skitouren im Trend

Allerdings ist dieser Trend nicht bei allen Produkten gleich ausgeprägt. Gerade im Tourenski-Segment, das bereits in den Vorjahren jährliche Wachstumsraten von 20% und mehr aufwies, bahnt sich eine gegenläufige Entwicklung an. Es steht zu erwarten, dass die mittlerweile rund 600.000 Skitourengeher in Deutschland (500.000 sind es in Österreich) weiteren Zuwachs bekommen werden. Der Grund liegt auf der Hand. Das reduzierte Angebot bei Fernreisen und die hohe Planungsunsicherheit lässt viele Touristen umdenken. Hinzu kommt, dass viele Skigebiete noch nicht wissen mit welchen Auflagen sie in die Wintersaison starten. Kleinere Skigebiete kommen da schon ins Grübeln, ob unter diesen Umständen ein „normaler“ Betrieb wirtschaftlich überhaupt möglich ist.

Menschen streben wieder nach Beständigkeit und Selbstbestimmtheit

Dies führt zu einem Umdenken. Der Sommer hat bereits gezeigt, dass der Urlaub in den Bergen boomt und dieser Trend auch im Winter anhalten könnte. Statt Unsicherheit und regional unterschiedlicher Corona-Auflagen streben viele Menschen gerade nach einem Stückchen Beständigkeit und Selbstbestimmtheit. Der Zug hinaus in die Natur, auf eigene Faust unterwegs zu sein war bereits im Frühjahr und Sommer zu beobachten. Der Sportmarkt für Fahrräder und Laufartikel ging praktisch durch die Decke.

So ist auch dieses Jahr mit vielen Skitouren-Neueinsteigern zu rechnen. Zusehends werden Skitouren auch für Familien interessant wie die Absatzzahlen bei Kinderskiern belegen. Gerade auch kleinen Skigebieten bietet diese Entwicklung Chancen. In Gebieten, wo sich der Betrieb von Liftanlagen aufgrund begrenzter Pistenkilometer und Höhenlage schon länger nicht mehr rechnet könnte hier ein Gegenentwurf sanfteren Bergtourismus entstehen. So herrscht beispielswiese am Grünten im Allgäu ein regelrechter Ansturm von Skitourengehern seit dort die Lifte außer Betrieb genommen wurden. Andere Skigebiete bieten auf ihren Hütten nächtliche Tourenabende, um Toureneinsteiger abends zum ungefährlichen Aufstieg entlang der Piste zu locken.

Es lockt ein neues Naturverständnis

In dieser Entwicklung liegt eine Chance ein Stück Nähe zur Natur zurückzugewinnen. Abseits von dieselbetriebenen Aufstiegshilfen und lärmendem Massentourismus gelingt es einigen von uns vielleicht eine neue Balance mit unserer Umwelt wiederzufinden. Gerade da eröffnet die Pandemie, trotz allem Schreck und aller Widrigkeiten, auch eine Möglichkeit Alltagsängste und Stress, angesichts einer mit anderen Augen wahrgenommenen Natur, abzubauen und zu heilen.

[1] https://www.fr.de/wirtschaft/wintersport-mit-ski-und-schneeschuh-gegen-den-corona-frust-90024934.html


vierdimensionales Netz / Warum Hierarchie nicht mit Komplexität umgehen kann

Warum Hierarchie nicht mit Komplexität umgehen kann

Mittlerweile ist das ein Teil unseres Arbeitsalltags: Führungskräfte sind hoffnungslos überlastet. Jede Entscheidung die mehr Koordination und eine vom Alltag abweichende Sichtweise erfordert, muss von ihnen genehmigt werden. In hierarchischen Organisationen laufen die Reporting-Wege nur an der Spitze zusammen. Sehr oft stehen Führungskräften dafür nur wenige oder sehr stark verschlankte Informationen und Fakten zur Verfügung. Kein Wunder also, dass sich viele Führungskräfte bei dieser Form der Entscheidungsfindung unsicher und ängstlich fühlen. Wie Arbeiter am Fließband müssen sie irgendeine Entscheidung treffen und die nächste Entscheidung wartet bereits. Kommen sie dabei in Verzug droht dem Unternehmen der Stillstand. Es ist daher wenig überraschend, dass Führungskräfte die am stärksten unter Burnout[1] leidende Berufsgruppe stellen. Gemessen an Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund einer Burnout-Erkrankung liegen Führungskräfte mit durchschnittlich 50% mehr Ausfalltagen deutlich vor jeder anderen Berufsgruppe.

Der Engpass an der Unternehmensspitze macht die Zeit von Führungskräften so kostbar, dass sich Mitarbeiter oft wochenlang auf eine kurze Präsentation vorbereiten. Zahlreiche drängende Entscheidungen bekommen aber nie einen Termin und werden deshalb auch nicht getroffen. Andere, an der Spitze getroffene Entscheidungen, erweisen sich als schlecht oder sogar schädlich. Dabei spielen politische Überlegungen ebenso eine Rolle wie Unkenntnis der operativen Geschehnisse und Bedürfnisse vor Ort.

In einer zunehmend komplexeren Welt wird die Hierarchie zu einem Engpass. Selbst wenn die Führungskräfte noch mehr Zeit investieren, das Problem kann nicht durch Arbeitszeit gelöst werden. Es handelt sich vielmehr um ein strukturelles Problem.

Was also sind die Alternativen?

Die Lösung umgibt uns bereits! Alle adaptiven komplexen Systeme[2] - davon gibt es einige[3] - arbeiten nach einer Struktur der verteilten Autorität. Kein einziges komplexes System arbeitet mit hierarchischen Strukturen. In der Evolution solcher Systeme hat sich gezeigt, dass Hierarchie zunehmender Komplexität nicht standhält.

Die hierarchische Organisation hat ausgedient

Hierarchische, leistungsorientierte Organisationen sind in einem mehr oder weniger starren System von Regeln, Vorschriften, Verantwortlichkeiten, Abläufen und Rollen gefangen. Sie arbeiten seit jeher mit den immer gleichen wiederkehrenden Lösungsstrategien, unabhängig von der Art des Problems. Die antrainierten Reflexe, komplexe und völlig neuartige Probleme - in deren Lösung die Organisation keine belegte Erfahrung hat - mit Denkweisen und Lösungsstrategien, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, zu begegnen führt immer häufiger zu ungelösten Problemsituationen.

Diese an und für sich schon nicht sehr erfreuliche Perspektive wird durch neue, sich stetig verändernde, Erwartungshaltungen weiter verschärft. Branchenunabhängig werden Unternehmen mit Anforderungen nach kürzeren Durchlaufzeiten, höherer Kundennähe, zunehmenden Produktvielfalt, kurzlebigeren Produktentwicklungszyklen konfrontiert. Damit einhergehend steigt der Innovationsdruck auf die Unternehmen und die Notwendigkeit einer wachsenden digitalen Aufrüstung gewinnt tagtäglich an Dringlichkeit. Jede einzelne dieser Anforderungen stellt die meisten Organisationen bereits vor große Herausforderungen.

Die Kombination dieser Entwicklungen führt jedoch zu einem teilweise dramatischen Komplexitätsanstieg, der für viele Unternehmen, mit herkömmlichen Lösungs- und Denkansätzen, nicht mehr beherrschbar ist.

Unternehmensentwicklung bedeutet vor allem eines: Krisenbewältigung

Letztendlich werden diese Anforderungen an die Unternehmensprozesse herangetragen, die dadurch immer stärker in Konflikt mit ihrer hierarchisch ausgerichteten Aufbauorganisation kommen. Warum? Hierarchische, arbeitsteilige und nach Leistungsprinzipien geführte Organisationen können den sich stetig verschärfenden Konflikt, immer mehr Entscheidungen in immer kürzerer Zeit zu treffen und die notwendigen Anpassungen an unternehmensweiten Wertschöpfungsketten vorzunehmen, nicht mehr auflösen. Eine teilweise existentielle Krise ist damit vorprogrammiert.

Das vorherrschende System kann die Probleme, die zu dieser Krise geführt haben, nicht mehr lösen. Unternehmen, die vor einer solchen Herausforderung stehen, bieten sich zwei Herangehensweisen: Das Unternehmen kann versuchen das Problem weiterhin zu ignorieren (das geht dann oftmals mit dramatischen Kostensenkungs- und Rationalisierungsprogrammen einher) oder versuchen in eine neue komplexere Perspektive hineinzuwachsen, welche der Organisation neue Lösungen für das Problem eröffnet.

Prozesse erwirtschaften die Erlöse, die Aufbauorganisation verwaltet die Kosten

Gewöhnen wir uns ruhig an den Gedanken: Die Prozesse erwirtschaften die Erlöse, die Aufbauorganisation verwaltet die Kosten. Dieser Gedanke trägt immense Sprengkraft in sich, folgen doch zwei wesentliche Einsichten daraus:

Erstens braucht es einen Paradigmenwechsel, in dem die Organisation nicht mehr mit sich selbst beschäftigt ist und sich an Kostenstrukturen abarbeitet, sondern sich verstärkt an den Prozessen ausrichtet. Zweitens liegt der Gedanke nahe, dass dieser Konflikt sich letztlich nur durch eine Weiterentwicklung der Organisation auf eine neue Evolutionsstufe auflösen lässt. Die in solch einer zukünftigen Organisation vorherrschenden Leitbilder werden vorwiegend Eigenverantwortung, Selbstorganisation, individuelle Entfaltung, ein neues Selbstverständnis von Führung und Selbstverwirklichung sein. Mit diesen Zutaten wird es möglich, Entscheidungen dort zu treffen, wo sie operativ entstehen, brachliegendes kreatives Potential zu nutzen und schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Die Hierarchie wird an Bedeutung verlieren.

Aber eines ist auch klar. Für Veränderung gibt es keinen Blueprint, kein Template. Viel zu oft versuchen Unternehmen Veränderungen in ein Projekt mit begrenzter Laufzeit und vorgegebener Zielrichtung zu pressen. Ebenfalls sehr beliebt ist der Versuch Veränderungen durch Einführung neuer Tools oder Methoden gar zu erzwingen. Die schlechte Nachricht ist, so funktionieren Veränderungsprozesse nun mal nicht. Veränderung ist für jedes System (und Ein Unternehmen ist ein solches) ein individueller und stetiger Prozess.

Die simple Antwort ist einfach der Organisationen die nächste Methode, das nächste Tool überzustülpen. Etwas salopper formuliert: „Wieder einmal die nächste Sau durchs Dorf zu treiben.“ In vielen Fällen ein Scheitern mit Ansage.

Wenn Eigenverantwortung und Selbstorganisation in einer Organisation zunehmen, werden zwangsläufig die Prozesse gestärkt

Was also können Unternehmen tun? Wo können sie mit der Veränderung beginnen? Es existieren meist so viele Möglichkeiten Veränderungen herbei zu führen, dass einige Organisationen bloß durch die Beantwortung dieser Frage in ihren Handlungen gelähmt werden. Der Wirtschaftsexperte und Management Vordenker Peter Drucker hat dazu einmal gesagt

„Culture eats strategy for breakfast“.

Übertragen auf die Frage, wo Unternehmen mit Veränderung beginnen sollen, bedeutet das auf die inneren Stimmen der Organisation zu hören: Für welche Veränderung existiert die meiste Energie im Unternehmen? Wo gibt es blockierte Energien? Für die einen ist das die Verkürzung überdehnter und langwieriger Entscheidungswege, beispielsweise den Mitarbeitern das Vertrauen auszusprechen selbst Entscheidungen treffen zu können. Für andere mögen es sinnstiftende Arbeiten sein oder durch Mitarbeit an einer großen Aufgabe an Bedeutung zu gewinnen. Freundet man sich mit der Vorstellung an, dass Veränderung als mehr oder weniger kontinuierlicher, stetiger Prozess abläuft, ist es schließlich bedeutungslos, wo man beginnt. Wichtig ist nur, dass Veränderung mehr Energie freisetzen muss als dafür aufgewendet wird. Ähnlich einem Schneeball, der zunächst unscheinbar und langsam den Berg hinunterrollt und dabei immer schneller und größer wird.

Klingt einfach! Warum folgen dann so wenige Organisationen diesem Ansatz? Hierarchische Unternehmen sind traditionell stark auf die Vorgabe von Zielen und deren Kontrolle ausgerichtet. In diesen Organisationen ist dieses Denken stark kulturell verankert und verhindert dadurch reflexartig jede nicht sofort auf ein vorgegebenes und autorisiertes Ziel ausgerichtete Veränderung. Für viele Unternehmen hat das eher eine chaotische und anarchische Anmutung.

Verschwindet die Hierarchie treten die Prozesse in den Vordergrund

Was aber geschieht in Organisationen, die den Einfluss ihrer Aufbauorganisation relativieren, in denen Mitarbeiter mehr und mehr die Verantwortung übernehmen? Spielen wir den Gedanken einmal an einem Extrembeispiel durch. Wir entfernen in unserem Beispielunternehmen die Aufbauorganisation. Mitarbeiter machen einfach das was sie auch vorher gemacht haben, nur dass sie nun ihre Entscheidungen selbst treffen und dafür verantwortlich sind. In dieser Organisation wird sich nun jeder Mitarbeiter vielmehr daran orientieren wer ihm zuarbeitet und an wen er wiederum seine Zuarbeit richtet. Der Ablauf der Wertschöpfung gewinnt an Bedeutung. Die Prozesssicht wird gestärkt und auch das Bewusstsein für das Ergebnis des Prozesses gemeinsam verantwortlich zu sein.

Fazit

Unternehmen haben sich so sehr an ihre Sesshaftigkeit gewöhnt, dass sie angefangen haben Unbeweglichkeit mit Sicherheit zu verwechseln. Dabei liegt es in der Natur des Menschen in Bewegung zu bleiben und sich zu verändern, wenn es an der Zeit ist.

Das soll nun kein Plädoyer für die Abschaffung der Aufbauorganisation sein, vielmehr eine Anregung ihr eine andere Ausrichtung zu geben: Weg von Kontrolle, hin zu Vertrauen und Selbstverantwortung.

Nur Organisationen, die es zustande bringen diesen nächsten Evolutionsschritt zu gehen, wird es gelingen das volle Potential ihrer Wertschöpfungskette abzurufen und auf zukünftige Veränderungen schnell und resilient zu reagieren.

 

[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/507553/umfrage/berufsgruppen-mit-hohen-fehlzeiten-aufgrund-von-burn-out-erkrankungen-nach-falldauer/

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Komplexes_adaptives_System

[3] Beispiele für adaptive komplexe Systeme: Biosphäre, Ameisenkolonien, Ökosystem, Gehirn, Immunsystem, Zellen


eine Person trägt über Kopf und Oberkörper ein Papierkarton, auf dem ein Roboter aufgemalt ist / RPA - Übernehmen digitale Mitarbeiter das Steuer?

Robotic Process Automation - Übernehmen digitale Mitarbeiter das Steuer?

In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten zwi­schen Kunden und Unternehmen dramatisch vervielfacht. Neben E-Mails, dem Inter­net, sozialen Plattformen, Smartphones, Tablets, der Cloud, dem Internet der Dinge (IoT - Internet of Things) existieren ebenfalls die immer noch altbekannten Kommunikationsmittel wie Dokumente, Dateien, Briefe oder Faxe. Diese Kommunikationsmittel (Abbildung 1) sind oft miteinander verbunden, aber nicht immer miteinander kompatibel.

Abb. 1: Vernetzung von Anwendungen und Kommunikationsmitteln; Quelle: Eigene Darstellung

Ständig müssen Routineprozesse wie die Prüfung von Datensätzen, das Erstellen von Berichten oder auch das Anlegen von Kunden- und Lieferantendaten durchgeführt werden. Die zunehmende Vernetzung oftmals inkompatibler Anwendungen führt dadurch zu hohen Transaktionsvolumina. An vielen Stellen geschieht diese Vernet­zung nach wie vor manuell durch menschliche Bearbeiter (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Vernetzungsdruck führt zu hohen Transaktionsvolumina; Quelle: Eigene Darstellung

Robotic Process Automation (RPA) als Alternative zu traditionellem Business Process Outsourcing

Die Entwicklung, Pflege und Programmierung von Schnittstellen sind oft teuer. Skripte oder Makros eignen sich meist nur für Einzelfälle. Das Outsourcing in Niedriglohnlän­der wiederum wird durch erhöhte Koordination und Kommunikation erschwert und bringt zudem das Problem der Zeitverschiebung mit sich. Darüber hinaus führt es regelmäßig zu Know-how- und Reibungsverlusten (nicht nur in der einmaligen Transi­tionsphase, sondern auch während des normalen Betriebs durch die sehr hohe Fluk­tuation in den Outsourcing-Ländern). Dies fördert Fehler und beeinträchtigt die Qua­lität der Prozessleistung und Prozessergebnisse.

Diese Ausgangssituation hat in letzter Zeit sehr stark das Aufkommen einer »neuen« Technologie im Werkzeugkoffer der Prozessoptimierung begünstigt: Robotic Process Automation. Im Kern handelt es sich um die Automatisierung von Vorgängen, die sich durch ein sehr hohes Maß an wiederkehrenden manuellen Arbeitsschritten aus­zeichnen. Roboter, sogenannte »Bots«, übernehmen eins zu eins die Tätigkeiten eines menschlichen Bearbeiters.

Beispiele dafür sind der Eintrag von per E-Mail eingegangenen Bestellungen in ein Bestellsystem oder das Ausfüllen von Formularen diverser Backoffice-Prozesse. Hier­bei handelt es sich aber nur um eine scheinbare Prozessoptimierung. Der Prozess an sich erfährt dabei keine Änderung, es findet lediglich eine Übertragung von Arbeit auf einen Roboter statt, die zuvor ein Mensch geleistet hat. Diese Roboter sind weder mit Sensoren noch mit Greifarmen ausgestattet. Sie sind für das Auge unsichtbar. Die Roboter, die im Büro ihren Dienst versehen, sind ein mehr oder weniger intelligentes Stück Software.

Wie innovativ ist Robotic Process Automation wirklich?

Nun, wirklich neu ist die Technologie nicht. Schon Anfang der 2000er Jahre kam bei der Soft­wareentwicklung Automatisierungssoftware zum Einsatz. Die Qualität der Software wurde dabei durch das systematische Ausführen von Testfällen sichergestellt, die in Form von »Capture and Replay«-Makros aufgezeichnet und automatisiert (und damit schneller und ressourcenschonender) ausgeführt wurden. Dasselbe Prinzip liegt RPA-Lösungen zugrunde. Derzeit verfügen wenige RPA-Lösungen über intelligente Funkti­onen und sie lassen sich nur für einzelne Prozessteile einsetzen. Einfache Software- Roboter können oft unstrukturierte Daten (beispielsweise eine individuell verfasste E-Mail-Bestellung) nicht verarbeiten und sind nicht flexibel genug, sich automatisch an Änderungen anzupassen. Das macht den Einsatz von Software-Ingenieuren not­wendig, welche die Bots warten und Änderungen an der Programmierung vornehmen müssen. Dies kann unter Umständen den realisierten Zeitvorteil zunichtemachen, zumal sich die Wartung typischerweise ja nicht auf einen Roboter beschränkt, son­dern auf alle im Prozess zum Einsatz kommenden Roboter erstreckt.

Um fair zu bleiben: so simpel kommen RPA-Lösungen schon lange nicht mehr daher. Derzeit experimentieren Anbieter mit intelligenteren RPA-Lösun­gen, die deutlich weitreichendere Funktionen anbieten. Dazu gehören beispielsweise die Erfassung unstrukturierter Daten, intelligente Texterkennung (OCR), die Mög­lichkeit zur Workflow-Orchestrierung, der Einsatz künstlicher Intelligenz (Machine Learning), die Verfügbarkeit von Omni-Channel-Technologien sowie umfassende Analysewerkzeuge. Der Einsatz dieser, unter dem Stichwort RPA zusammengefassten Technologien beinhaltet fast immer auch eine Anpassung bzw. Änderung des beste­henden Prozesses, sei es die Erweiterung der Aus- und Eingabemöglichkeiten eines Softwareprogrammes, die Zusammenführung verschiedener Channel-Formate an einen Analyseort oder die inhaltliche Anpassung von Schnittstellen.

Die Einführung von Robotic Process Automation in den Unternehmensalltag ist sehr verführerisch. Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von RPA-Software zurecht schnelle ökonomische Vorteile. Zu den Vorteilen zählen unter anderem die in Abbildung 3 aufgeführten Vorzüge.

Abb. 3: Typische Vorteile von Robotic Process Automation; Quelle: Eigene Darstellung

Werden menschliche Arbeitskräfte überflüssig?

RPA ist ideal für Aufgaben, die keine menschliche Intervention (RPA 1.0) benötigen. Diese Aufgaben nennen wir »unbeaufsichtigt« oder »unattended« (Abbildung 4). Das sind typischerweise stark regelbasierte Prozessschritte mit hohem Wiederho­lungscharakter, die noch dazu sehr strukturiert und für Software-Augen (und unsere »Bots« sind ja nichts anderes als eine mehr oder weniger intelligente Softwarelösung) gut erkennbar und interpretierbar sind.

Abb. 4: Spektrum der RPA-Lösungen; Quelle: Eigene Darstellung

Eine Vielzahl von Aufgaben benötigt jedoch immer noch menschliche Unterstützung oder Interpretationsleistung. Diese Prozessschritte bezeichnen wir als beaufsichtigte Aufgaben (RPA 2.0) oder »attended tasks« (Abbildung 103). Beispiele dafür sind dem Kunden zugewandte Aktivitäten wie die IVR-Unterstützung[1] bei Customer-Service- Prozessen, unterstützende Chat-Bots auf Webseiten oder Handlungsvorschläge auf Basis von Handlungen oder Datenbeschaffungsvorgängen, die in der Vergangenheit getätigt wurden. Diese Aufgaben benötigen immer noch eine menschliche Führung. RPA-Bots füllen hierbei nur eine unterstützende Rolle aus, die dem ausführenden menschlichen Bearbeiter monotone und zeitraubende Routinevorgänge abnimmt.

RPA steht auch für den Einsatz künstlicher Intelligenz

Daneben existieren viele andere Tätigkeiten, die menschlicher Kopfarbeit bedürfen. Typischerweise sind dies komplexere, hochwertige Aufgaben, die für uns ohnehin intellektuell interessanter sind als reine Routinetätigkeiten. Diese Tätigkeiten fallen in die Kategorie rein manueller (»manual tasks«) Aufgaben, für die »noch« keine Automa­tisierung möglich ist. Sie sollten jetzt jedoch nicht beruhigt durchatmen und sich mit der Sichtweise entspannt zurücklehnen, dass menschliche Denkprozesse eben nicht durch »Maschinen« zu ersetzen sind. In der RPA-Community diktiert eine gänzlich konträre Denkweise das Handeln. Man experimentiert dort vielmehr mit ersten, zuge­gebenermaßen noch sehr eingeschränkten, KI-Lösungen (Künstliche Intelligenz), die den vollständigen Ausschluss menschlicher Handlungen (RPA 3.0 und RPA 4.0, siehe Abbildung 4) zum Ziel haben.

Der kluge Einsatz von RPA-Lösungen kann signifikante Kosteneinsparungen möglich machen

Untersuchungen[2] zeigen, dass der Einsatz von RPA an den richtigen Stellen im Pro­zess durchschnittliche Kostenersparnisse von 25 bis 65 % realisieren kann. Auch die teilweise rasanten Amortisationszeiträume[3] (oftmals hat sich eine RPA-Lösung bereits nach sechs bis neun Monaten amortisiert) zaubern so manchem Manager ein glückliches Lächeln ins Gesicht.

Natürlich sind diese Erfolgsgeschichten nur möglich in Prozessen, die ein hohes Transaktionsvolumen und einen gut strukturierten Prozessverlauf aufweisen. Mit »strukturiertem Prozessverlauf« sind Prozesse gemeint, die zwar alle Arten von Ein­schränkungen wie Medienbrüche oder inkompatible, nicht integrierte Anwendungen beheimaten können, aber immer wieder an denselben Stellen in Dokumenten, E-Mails oder Systemen Informationen verarbeiten. Ist hier keine Einheitlichkeit in der Infor­mationsstruktur gegeben, ist das selbst für menschliche Augen eine Herausforderung, für »Roboteraugen« jedoch noch ein K.o.-Kriterium. Zwar experimentieren führende RPA-Anbieter mit den bereits erwähnten KI-Softwarelösungen, um aus inkohärenten Informationen Zusammenhänge abzuleiten und die Intention des Kunden festzustel­len. Jedoch lassen sich diese »Piloten« aufgrund der recht hohen Fehlerquoten noch nicht sinnvoll betriebswirtschaftlich nutzen.

Die Anwendungsgebiete für RPA sind dabei so vielfältig wie die Prozesse selbst. Überall dort, wo strukturierte Prozesse stattfinden, kann RPA eingesetzt werden. Die Software- Roboter können Daten extrahieren, verändern und Berichte erstellen, Formulare aus­füllen, Daten kopieren, einfügen und verschieben, Informationen aus mehreren Syste­men und aus strukturierten Dokumenten lesen und verarbeiten oder E-Mails öffnen und Anhänge verarbeiten, um nur einige Anwendungsbeispiele zu nennen.

Braucht Prozessoptimierung überhaupt noch menschliche Mitarbeiter?

Bei allem Reiz, den diese neue Technologie versprüht, so birgt sie doch auch die Gefahr, uns träge zu machen und die eigentlichen Kernaufgaben kontinuierlicher Prozessverbesserung vergessen zu lassen. Erinnern wir uns, dass es sich bei RPA um eine non-invasive Technologie der Prozessoptimierung handelt. Der Prozess und alle mit ihm verbundenen Informationsträger und Systeme bleiben beim Einsatz von Bots unverändert. In anderen Worten, eine nachhaltige Verbesserung (Standardisierung von Dokumenten, Behebung von Medienbrüchen, Eliminierung von Fehl- und Blind­leistungen etc.) und damit eine echte Prozess-Weiterentwicklung findet nicht statt. Ein etwas salopp formulierter Vergleich wäre das Bild eines Patienten, der sich auf einer Krücke langsam vorwärtsbewegt und dem eine zweite Krücke an die Hand gege­ben wird, sodass er schneller laufen kann. Eine echte »gesundheitliche« Verbesserung wird man damit jedoch nicht erreichen.

Damit wird es in Zukunft noch mehr darauf ankommen Prozesse durch menschliche Bearbeiter auf eine Automatisierung vorzubereiten, noch genauer zwischen echter Verbesserung und Automatisierung zu unterscheiden und zu entscheiden an welchen Stellen sich der Einsatz von Automatisierungswerkzeugen amortisieren kann.

RPA treibt die Prozessdigitalisierung voran

Auf der Habenseite bewirkt RPA eine zusätzliche Digitalisierung der Prozesse, da anstelle menschlicher Interaktion ein digitaler Bot waltet. Ein Bot vermerkt u. a. sehr genau, zu welchem Zeitpunkt er einen Vorgang beginnt, welcher Art die von ihm aus­geführte Tätigkeit ist, wohin er die Information übertragen hat, wie lange er für den gesamten Vorgang gebraucht hat und welche Fehler dabei aufgetreten sind. Diese Informationen sind wichtig, um Fehler zu finden, aber auch, um Betrug oder andere Versuche, die Arbeit eines Roboters zu untergraben, zu erkennen. All diese Informa­tionen werden in entsprechenden Bot-Logfiles dokumentiert und stehen für weitere elektronische Auswertungen und Analysen zur Verfügung. Darüber hinaus finden diese Daten Anwendung in der Modellierung und Vorhersage zukünftigen Prozessverhaltens (beispielsweise durch Process Mining). Sie schließen Prozesslücken, meist an den Stellen, an denen menschliche Bearbeiter zuvor deutlich weniger Prozessdaten hinterlassen haben.

[1] Interactive Voice Response

[2] Weissenberg Group, www.weissenberg-solutions.de/was-ist-robotic-process-automation (Zugriff: 18.08.2019).

[3] Everest Group, Seizing the Robotic Process Automation (RPA) Market Opportunity, 2015.