drei Personen laden einen Transportwagen aus und übergeben sich gegenseitig Kisten / Weihnachtsaktion 2021: Spenden an die Tafel

Weihnachtsaktion 2021: Spenden an die Tafel

Zusammen Gutes tun

Gemeinsam mit unserem Partner, der Allianz Agentur Stephan Huber aus Dachau https://vertretung.allianz.de/stephan.huber/ , sammelten wir in der Vorweihnachtszeit 2021 Spenden, um die Tafeln e.V. in Wangen und Dachau zu unterstützen. Wichtig war uns hierbei, bedürftigen BürgerInnen in der Region zu helfen und dadurch unsere Verbundenheit mit unserer Heimat auszudrücken. Insgesamt konnten wir Waren im Wert von über 4.500€ übergeben und vielleicht dadurch hier und da ein Lächeln und ein wenig Freude erreichen.

 


drei rötliche Steine sind aufeinandergestapelt, im Hintergrund ist weiteres rotes Gestein zu sehen / Prozessentropie - Sisyphos lässt grüßen

Prozessentropie - Sisyphos lässt grüßen

Schon die alten Griechen waren mit dem Konzept mühseligen Arbeitens ohne absehbares Ende bestens vertraut. Als Erklärung dienten ihnen die Götter. Derlei Mühsal konnte wohl nur denjenigen treffen, der so vermessen war sich mit den Göttern selbst anzulegen.

Als Allegorie für das göttliche Strafgericht muss seit nunmehr dreitausend Jahren der unglückselige thessalische Königssohn Sisyphos herhalten. Homer beschreibt sein Leiden in seiner Odyssee (11. Gesang, 593 bis 600) auch entsprechend bildhaft mitfühlend:

„Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“

Klar, sich mit Thanatos, dem Totengott selbst anzulegen, wie es Sisyphos tat, klingt auch dreitausend Jahre später nicht nach einer smarten Strategie.

Prozesse werden durch ihre Entropie definiert

Sisyphosarbeit als Strafe: seit jeher die Rezeption in unserem Kulturkreis. Auch als Prozessmanager fühlt man sich bisweilen an Sisyphos erinnert. Warum eigentlich?

Prozesse entwickeln sich immer weiter. Ab dem Moment ihrer Inbetriebnahme verändern sie sich, auch ganz ohne bewusstes Zutun der Organisation. Mitarbeiter kommen und gehen, neue Software wird installiert, alte Gebäude werden verlassen und neue bezogen – all das und noch vieles mehr bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Prozesse. Letztlich folgen auch Prozesse lediglich einem physikalischen Grundprinzip, dem Entropiegesetz: Die „Unordnung“ (Entropie) in einem System nimmt mit der Zeit unaufhaltsam zu. Mit anderen Worten: Ohne kontinuierliche Prozesspflege neigen Prozesse stets dazu, sich zu verschlechtern. Für den Alltagsverstand ist das eigentlich kaum überraschend. Denken Sie nur einmal an Ihr Zuhause: Wenn sie wochenlang nicht aufräumen und saubermachen, wird es Ihnen wenig Freude machen nach Hause zu kommen.

Ähnlich ergeht es Prozessen, die ohne Pflege ablaufen. Sie können ihr Leistungsniveau nicht halten. Die Fehlerquote steigt, der Durchsatz sinkt, die Durchlaufzeit nimmt zu, um nur einige der Symptome mangelnder Fürsorge zu nennen.

Kehren wir noch einmal zu Ihrer unaufgeräumten Wohnung zurück. Wenn Sie die Unordnung beseitigen wollen, dann müssen Sie Energie aufwenden, um wieder Ordnung zu schaffen. Ganz praktisch gesprochen bedeutet das: Geschirr spülen, Wäsche waschen, bügeln, den Boden saugen und wischen. All die schönen Dinge, die einen Haushalt führen ebenso ausmachen.

Prozessmanagement ist in erster Linie genau das: Prozesspflege und Erneuerung. Ein stetiges bergaufrollen von Steinen (hier hatte es Sisyphos definitiv leichter, er musste ja nur einen hochrollen). Wie Sisyphos müssen Prozessmanager immer wieder aufs Neue Energie aufwenden, um den Prozess auf sein ursprüngliches Leistungsniveau zurückzuführen.

Sisyphos steht aber nicht nur als allgemeinsprachliche Metapher für sinnlose Mühen, sondern beschreibt auch den Versuch mit eigener Hände Arbeit etwas zu erschaffen, eine Verbesserung herbeizuführen.

Sehen wir dabei einmal großzügig darüber hinweg, ob er das aus eigenem Antrieb oder gezwungenermaßen macht. Ohne seinen Einsatz würde der Stein jedenfalls für immer im Tal liegenbleiben und nie den Berggipfel erreichen. Sicher, man kann auch trefflich darüber streiten wie sinnvoll ein Vorhaben sein kann einen runden Felsblock immer und immer wieder einen steilen Berghang hinaufzurollen. Andererseits hätten unsere Vorfahren Steine schleppen zur sinnlosen Aufgabe erklärt, hätte sich wohl niemand die Mühe gemacht Pyramiden, Schlösser oder Kathedralen zu erbauen.

Und nun? Es geht auch anders!

Bevor wir uns dieser tristen Deutung, Prozessmanagement ähnle Sisyphosarbeit, anschließen, möchte ich noch gerne eine alternative Denkfigur ins Feld schicken. Schließlich, wer möchte schon gerne einen Job wie Sisyphos haben?

Auch der französische Philosoph und Schriftsteller Alber Camus hat sich dem zeitgenössischen Sisyphosbild genähert, sich aber für eine radikale Neuinterpretation des Mythos entschieden:

„Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.“

Damit etabliert Camus eine existentialistische Sichtweise auf den Mythos Sisyphos. Sisyphos ist nicht mehr der „Bestrafte“, der tagtäglich einen Felsblock den Berg hochrollt, sondern ein in hohem Maße mit sich selbst zufriedener Mensch.

Wie anders die Interpretation desselben Bilds auch in einem anderen als dem abendländischen Kontext ausfallen kann, zeigt die altindische Legende von Naranath Bhranthan: So wie Sisyphos wälzte auch er immer wieder, allerdings anders als dieser freiwillig, einen riesigen Stein einen hohen Berg hinauf, jedoch nur, um sich anschließend wie unbändig am Zurückrollen des Steins ins Tal zu erfreuen.

Fazit

Sicher, mitunter ist Prozessarbeit die reinste Mühsal und man fragt sich zurecht, wie es dazu kommen konnte immer wieder durch dieses tiefe, triste Tal schreiten zu müssen. Jedoch etwas verändern, mitgestalten und verbessern zu können erfüllt mich jedes Mal mit derselben Begeisterung wie unseren indischen Freund Naranth, der ähnlich dem Camus’schen Sisyphos sein Augenmerk nicht darauf richtet immer und immer wieder dasselbe zu tun, sondern reine Freude darüber empfindet Dinge in Bewegung (im wahrsten Sinn des Wortes) gebracht zu haben.

 


Eiswaffel liegt auf dem Boden, eine Kugel Stracciatella-Eis ist herausgefallen / Erfolgsmotor Fehlerkultur: Wie Innovation wieder möglich wird

Erfolgsmotor Fehlerkultur: Wie Innovation wieder möglich wird

Wir alle machen Fehler. Fehler sind die Quelle unserer Erfahrungen. Aus ihnen lernen wir. Sie fördern unsere Entwicklung und helfen uns Verhalten und Gewohnheiten zu hinterfragen und neue Lösungsstrategien zu entwickeln.

Versuch und Irrtum – schon seit Lucy[1] ein Renner

So ist es kaum verwunderlich, dass „Versuch und Irrtum“ wohl das älteste und mit Abstand erfolgreichste Entwicklungsprinzip in der Menschheitsgeschichte repräsentiert. Wie hätten wir sonst gelernt, selbst Feuer zu machen, Getreide zu pflanzen oder wären gar auf die Idee zu kommen daraus Mehl zu mahlen und Brot zu backen.

Jede Erfahrung, die wir machen, enthält einen Lerneffekt für die Zukunft, der uns zu besseren Entscheidungen, Handlungen und Ergebnissen führt.

Ein praktisches Beispiel für das „Versuch und Irrtum“-Prinzip durchläuft dabei jeder Mensch in frühen Jahren. Kinder erlernen nach genau demselben Muster das Gehen. Losgehen, hinfallen, aufstehen, wieder losgehen. Kein Kind überlegt sich vorher einen Plan, was wohl die beste Vorgehensweise sein könnte. Es wird einfach ausprobiert, bis es gelingt. Versuch und Irrtum in Reinform.[2]

Sicherlich ist die Methode nicht für jede Eventualität geeignet. Für eine Prüfung werden ihnen wohl in den wenigsten Fällen fünfzehn Fehlversuche zugestanden bis sie irgendwann einmal das richtige Ergebnis erzielen. Im Großen und Ganzen schmälert das die Einsatzgebiete der Methode aber nur geringfügig. In vielen Arbeits- und Lebensbereichen können wir nach dem Motto Versuch macht klug eine Menge lernen.

Ohne dieses elementare Entwicklungsprinzip würden wohl immer noch Laternenanzünder durch die Straßen unserer Städte laufen, um allabendlich Gaslampen zum Leuchten zu bringen. Thomas Alva Edison, einer der genialsten und produktivsten Erfinder unserer Zeit, hat seine Forschungsarbeit zur Entwicklung der Glühlampe lapidar mit den Worten zusammengefasst:

„Ich bin nicht 10.000 Mal gescheitert, sondern ich habe erfolgreich 10.000 Varianten entdeckt, die nicht funktionieren.“

Erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in der Menschheitsgeschichte, haben wir begonnen dieses Entwicklungsprinzip gegen langwierige theoretische Überlegungen einzutauschen. In der Arbeit bringen wir endlose Zeit mit Meetings und Workshops zu, in denen vieles theoretisch bleibt. Teilweise über Monate werden Strategien und Konzepte erdacht, verfeinert, angepasst und erweitert. Bevor die erste wirkliche Handlung erfolgt, gehen unzählige Arbeitsstunden verloren. Ob es wirklich funktioniert, zeigt sich trotzdem erst hinterher.

Was bringt uns also dazu diese seit vielen Jahrtausenden erfolgreich erprobte Methode in unserem Büroalltag immer wieder zu vergessen?

Die Angst vor dem Fehler als Keimzelle institutionalisierten Perfektionismus

Schon als Kinder werden wir darauf trainiert, dass Fehler etwas Schlechtes sind. So ist sie tief in uns verwurzelt, die Angst vor dem Fehler. Wer kennt es nicht aus Schule und Studium: ein Fehler wird bestraft, ein Fehler führt zu schlechten Noten. Doch damit nicht genug. Im Arbeitsleben werden Fehler oftmals detektivisch aufgearbeitet, um den Verursacher zu identifizieren. Prima, Problem erkannt, Problem gebannt. Arbeitsgruppen werden eingerichtet, um ein zukünftiges Auftreten desselben Fehlers zu verhindern. Der Fokus auf Fehler bringt eine unangenehme Eigenschaft mit sich. Wir marschieren in die Richtung, auf die wir uns konzentrieren. Sprich, wer ständig mit der Angst lebt am Tisch nicht kleckern zu dürfen, bei dem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass genau das passiert. Ähnliches lässt sich auch in Organisationen beobachten.

Die Null-Fehler Kultur hinterlässt noch immer ihre Spuren

Besonders mit dem Aufkommen der „Zero Fault Tolerance“-Bewegung der 80er und 90er Jahre wurden Fehler stark dämonisiert. Seither fließt in deutschen Unternehmen enorm viel Zeit und Geld in die Planung Prozesse und Produkte so perfekt wie möglich zu gestalten.

So brachte der deutsche Maschinenbau-Konzern Schaeffler noch vor kurzem sein Selbstverständnis mit folgenden Worten zum Ausdruck[3][4]:

„Das Ziel unserer Qualitätspolitik erschöpft sich nicht darin fehlerhafte Produkte zu entdecken und auszusortieren. Unser Qualitätsdenken sorgt vielmehr dafür, dass Fehler erst gar nicht entstehen. Null Fehler ist deshalb das erklärte Unternehmensziel.“

Schaeffler steht mit dieser Denkweise nicht allein da. Nach wie vor leiden deutsche Unternehmen unter den Nachwirkungen der Null-Fehler Bewegung. Fehler werden verteufelt und deren Verursacher stigmatisiert. Anders betrachtet. Wer immer wieder negatives Feedback für Fehler bekommt, der wird seltener mit neuen Ideen um die Ecke kommen. Im Gegenteil: Eine negativ besetzte Fehlerkultur führt häufig zu Stress, Leistungsdruck und fehlgeleitetem Perfektionismus.

Menschen sind darauf programmiert negativ auf Fehler zu reagieren

Fehler sind per se weder gut noch schlecht. Allerdings sind wir biologisch, evolutionär und kulturell darauf programmiert auf Fehler negativ zu reagieren.

Evolutionsbedingt tragen wir noch die Erfahrungen unserer felltragenden Vorfahren in uns. Diese mussten schmerzlich lernen, dass selbst kleinste Fehler fatale Auswirkungen haben können. Sich beispielsweise zu weit vom Stamm entfernen, versehentlich das Feuer ausgehen lassen oder durch hohes Steppengras laufen, konnte im Zeitalter von Mammut und Säbelzahntiger bereits eine tödliche Bedrohung darstellen.

Hinzu kommen prägende kulturelle Einflussfaktoren wie unsere Erziehung und die Gesellschaft, in der wir leben, die unseren Umgang mit Fehlern definieren.

Nicht zuletzt definiert die eigene Persönlichkeit, repräsentiert durch in unserem Gehirn stattfindende biochemische Vorgänge, wie unser Fehlerverhalten aussieht. Beschuldigen wir andere oder suchen wir die Schuld zuallererst bei uns selbst.

Negativ besetzte Fehlerkultur ist innovationsfeindlich und agilitätshemmend

In Organisationen mit negativ besetzter Fehlerkultur mündet der Umgang mit Fehlern fast automatisch in ein personenzentriertes[5] Vorgehen. Mittels disziplinarischer Maßnahmen wird versucht das Auftreten des Fehlers zukünftig zu verhindern. Das vorherrschende Paradigma folgt der Suche nach einem individuellen Sündenbock. Diese Haltung verhindert im Wesentlichen eine objektive Analyse des Fehlers. Zudem werden systemische Fehler, d.h. inwieweit das vorherrschende System die Fehlerentstehung begünstigt, nicht erkannt und können nicht eliminiert werden. Das Resultat: weiterer Schaden ist zu befürchten.

Doch damit nicht genug. In einem fehlerfeindlichen Umfeld leidet auch die Innovationskraft des Unternehmens. Organisation und Mitarbeiter werden alles Erdenkliche tun, um das Auftreten von Fehlern zu vermeiden. Bedauerlich, denn unsere Kulturgeschichte ist voll von folgenschweren Erfindungen, die auf einen Fehler zurückgehen. Glühbirne, Dynamit, Porzellan, Mikrowelle, ja selbst Viagra hat uns ein Fehler geschenkt.

Der weltbekannte Erfinder James Dyson hat vor einiger Zeit während eines Deutschlandaufenthaltes seine Haltung zu Fehlern auf den Punkt gebracht[6]:

„Ich glaube an Fehler. In der Schule hat man uns gesagt: Ihr müsst immer die richtige Antwort geben, und zwar beim ersten Mal. Das ist absolut der falsche Weg. So lernen sie nichts außer der richtigen Antwort. Ich würde Menschen danach bewerten, wie viele Fehler sie gemacht haben. Je mehr Fehler, desto besser. Egal ob sie einen Film drehen, ein Buch schreiben oder eine Technologie entwickeln: Sie gehen doch immer los und wissen nicht genau, wo sie herkommen. Nur durch Fehler machen wir Entdeckungen.“

Besser werden durch Fehler machen

Den wohl größten Gefallen, den sich ein Unternehmen erweisen kann, ist das Eingeständnis der simplen Tatsache, dass Menschen eben Fehler machen. Nun muss sich keine Organisation dieser Welt mit einem fatalistischen Fehlerumgang anfreunden. Vielmehr sollte sie sich fragen, inwieweit Prozesse und Arbeitsdesign so gestaltet werden können, dass sie Fehler entweder grundsätzlich vermeiden, sie - bevor sie größeren Schaden anrichten - rechtzeitig erkennen oder ihre Auswirkungen minimieren. Der Vorteil dieser Denkweise liegt auf der Hand. Fehler werden als Teil des Systems betrachtet, der Umgang mit ihnen zugelassen und sogar als wünschenswert erachtet. Ein besonders positiver Nebeneffekt: Mitarbeiter haben keine Angst mehr einen Fehler zu machen. Innovation wird wieder möglich.

Fazit

Kein Wunder also, dass sich Unternehmen mit negativ Fehlerkultur zusehends schwer tun Innovationen auf den Markt zu bringen oder agile Zusammenarbeit im operativen Tagesgeschäft einzuführen.

Erst eine positive besetzte Fehlerkultur schafft die Voraussetzungen für Agilität und Innovationsfähigkeit. Das Agieren ohne Angst, ein Miteinander auf Augenhöhe und das gemeinsame Streben das System zu verbessern bilden die Eckpfeiler agilen Denkens. Nicht das Streben nach Perfektion darf im Fokus von Unternehmen stehen, sondern Fortschritt und Weiterentwicklung. Die Fähigkeit sich ständig zu hinterfragen und rasch auf Veränderungen zu reagieren.

 

[1] https://www.zeit.de/wissen/2016-08/vormensch-lucy-baumsturz-tod-studie?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

[2] https://karrierebibel.de/versuch-und-irrtum-prinzip/

[3] https://www.schaeffler.com/remotemedien/media/_shared_media/09_investor_relations/dokumente/publikationen/2012/Schaeffler_GB_2012.pdf

[4] https://www.schaeffler-nachhaltigkeitsbericht.de/2017/handlungsfelder/kunden-und-produkte/produktverantwortung.html

[5] https://key2agile.de/null-fehler-kultur-no-agile-teil-1/

[6] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/gebaeudetechnik/nur-fehler-entdeckungen/

 


eine Hand hält ein gelbes, biegsames Maßband / Führt Produktqualität ins Abseits?

Führt Produktqualität ins Abseits?

In meinen Trainingskursen kommt früher oder später immer wieder die Frage nach dem Unterschied zwischen Produkt- und Prozessqualität auf. Zu dieser Frage unterhalte ich eine sehr pointierte Sichtweise. Steht in einem Unternehmen die Produktqualität im Vordergrund, d.h. wird das Produkt auf seinem Weg zur Fertigstellung immer wieder qualitätsgesichert, geprüft, vermessen, gewogen oder getestet bedeutet das in der Regel nur eines. Das Unternehmen hat kein Zutrauen in seine eigenen Abläufe. Noch etwas nachdrücklicher formuliert ist eine Fokussierung auf die Produktqualität meist ein Hinweis auf vorherrschende Prozessprobleme. Dazu gehören typische Symptome wie fehlende Standards, ein geringer Automatisierungsgrad, mangelnde Kooperation in der Ablauforganisation, Medienbrüche und individuelle, vom Bearbeiter abhängige, Prozessausführung. Das führt meist zu einem Prozessverhalten, dass nur eingeschränkt vorhersagbar ist und überträgt sich dann naturgemäß auch auf das Produkt. Einmal führt der Prozess zu einem gewünschten Ergebnis, ein andermal zu einem unerwarteten im schlimmsten Fall fehlerbehafteten Resultat. Kein Wunder also, dass sich die Organisation an das Produkt „hängt“ und stets dessen Qualität im Auge behalten möchte.

Reine Produktsicht als Wettbewerbsnachteil?

Klar, kein Konsument hat Interesse in den Genuss fehlerbehafteter Produkte oder Dienstleistungen zu kommen. Sicher ist aber auch, dass Konsumenten wenig Interesse haben für exzessive Qualitätssicherung unnötig Geld auszugeben. Aber genau das passiert in Organisationen die Produkt- vor Prozessqualität stellen. Lassen sie es mich so ausdrücken. Die Absicherung der Produktqualität steht für eine Kompensationsleistung. Kompensiert werden mangelhafte, teilweise dysfunktionale Prozesse und eine unterentwickelte Prozessorientierung.

Warum ist die Produktsicht in vielen Organisationen überhaupt so stark ausgeprägt? Typischerweise kann dieses Organisationsverhalten auf zwei relevante Einflussfaktoren zurückgeführt werden.

Zum einen ist da die typische nach wie vor tayloristisch, also mehr oder weniger arbeitsteilig, ausgerichtete Aufbauorganisation. Jeder Bereich in so einer Organisation kann nur einen geringen Teil der Wertschöpfung - manchmal sind es sogar nur einzelne Arbeitsschritte - eines Produktes verantworten. Diese Arbeitsteilung führt dazu, dass Produkte mindestens zweimal, bei Entgegennahme und Weitergabe, auf Mängel geprüft werden. Handelt es sich um ein komplexeres Produkt an dem zahlreiche unterschiedliche Organisationseinheiten beteiligt sind, kann man sich vorstellen, dass die Aufwände für die Qualitätssicherung einen unverhältnismäßig hohen Anteil an den Produktkosten stellen.

Anders formuliert, ist die vorherrschende Perspektive auf die im Unternehmen ausgeführten Aktivitäten, die Sichtweise einer bereichsorientierten Aufbauorganisation, wird auch jede Organisationseinheit für die Qualität seiner Arbeitsschritte verantwortlich gemacht. Konsequenterweise steuert jeder Bereich eines solchen Unternehmens, dass was er kontrollieren kann. Das ist letztlich der Qualitätsanteil der Wertschöpfungsschritte, für die jede Einheit verantwortlich ist.

Damit kommen wir zum zweiten dominierenden Einflussfaktor. Er findet sich in der, in einer Organisation, vorherrschenden Fehlerkultur. Werden Fehler verteufelt und als Versagen stigmatisiert, wird die Organisation alles tun, um eben diese Fehler zu vermeiden. Forschungs- und Entwicklungsprozesse werden unerträglich lange Laufzeiten vorweisen. Ebenso wird es Konzeptions-, Design- und Spezifikationsprozessen ergehen. Die Angst vor einem Fehler wird eine fehlerintolerante Organisation lähmen und dazu führen, dass erst einmal alles was zu einem Fehler führen könnte ausgeschlossen wird. Diese Kultur führt schlussendlich ebenfalls zu einer ungesunden Intensivierung der Qualitätssicherungsbemühungen.

Beide Einflussfaktoren führen nicht nur dazu, dass der Anteil an der Wertschöpfung sinkt und durch vermeidbare Blind- und Stützleistung verwässert wird sondern auch dass die Produktkosten in die Höhe getrieben werden. Zusätzlich werden in so einem Prozess die Durchlaufzeiten unnötig verlängert und der Durchsatz beeinträchtigt. Alles in allem führt uns der rein produktzentrierte Qualitätsansatz in einem wettbewerbsorientierten, vergleichbaren Marktumfeld ins Abseits.

Prozessqualität ist die Voraussetzung für verbesserte Kollaboration und zunehmende Agilität

Ganz anders stellt sich die Situation in Unternehmen dar, die Prozessqualität ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rücken. Was aber bedeutet Prozessqualität eigentlich? Unter Prozessqualität ist das Verhalten eines Prozesses unter gewissen, teilweise veränderlichen, Rahmenbedingungen zu verstehen. Die zentrale Frage die tagein, tagaus immer wieder aufs Neue beantwortet werden muss: verhält sich der Prozess so, dass sein Verhalten vorhersagbar ist und immer wieder zum gleichen Ergebnis führt? Um diese Frage beantworten zu können, braucht es ein Kontrollmittel, das uns darüber Auskunft gibt, wie oft der Prozess ein identisches Verhalten gezeigt hat. Dieses Mittel finden wir in der Standardabweichung. Die Standardabweichung[1] ist eine statistische Kontrollgröße (Kennzahl) die uns darüber Auskunft gibt, wie oft ein Prozess von einem gewünschten Zielwert abweicht und wie groß diese Abweichung im Mittel ist. Sie wird nie alleine die Qualität eines Prozesses beschreiben können, sorgt aber als Kontrollgröße in Kombination mit einer weiteren Kernkennzahl für entsprechende Aussagekraft.

Dazu ein Beispiel. Ein Möbelhersteller sah sich aufgrund unzufriedener Kunderückmeldungen zu einer Analyse seines Bestellprozesses veranlasst. Bereits die Einführung aussagekräftiger Kennzahlen in Form der durchschnittlichen Lieferzeit und der dazu korrespondierenden Standardabweichung deckte sehr schnell die Unzuverlässigkeit des Bestellprozesses auf. Kunden erhielten bei der Bestellung Lieferzusagen, die in der Hälfte der Fälle nicht eingehalten wurde. Teilweise kam es zu sehr starken Abweichungen zum vereinbarten Lieferzeitpunkt. Eine weiterführende Analyse zeigte, dass die Organisation mit allen Mitteln versuchte die Lieferzeit zu verkürzen. Dies brachte in zahlreichen Fällen auch Qualitätsprobleme mit sich. Schlampige Arbeiten oder das Ausliefern unvollständiger Möbelstücke verschärften das Problem zusätzlich. Das Unternehmen konzentrierte sich in der Folgezeit auf die Verbesserung seiner Prozessqualität und arbeitete die Ursachen auf, die zu einem unzuverlässigen Bestellprozess geführt hatten. Heute ist das Unternehmen im deutschen Sprachraum Nischen-Marktführer.

Neue Spielräume durch echte Prozessorientierung im Qualitätswesen?

Aus diesem Praxisbeispiel lassen sich verschiedene wertvolle Einsichten gewinnen. Zum einen gilt, je geringer die Standardabweichung, d.h. die Streuung um den Ergebnismittelwert (bspw. Durchlaufzeit, Kundenzufriedenheit, Durchsatz, etc.) umso qualitativ hochwertiger ist der Prozess und die damit erzielbaren Ergebnisse. Weniger Varianz im Prozessergebnis entlastet zudem die Organisation bei Nacharbeiten, Retouren und Rückrufen. Zum anderen fallen in Prozessen, die nach ihrer Ergebnisvarianz optimiert und gesteuert werden deutlich weniger Qualitätssicherungsaufwände an, da ja Werkstücke und Dienstleistungen nicht ständig überprüft werden müssen. Der Entfall dieser Aufwände wirkt zudem noch konsumentenfreundlich. Es erlaubt dem Unternehmen Produkte schneller und günstiger zu produzieren.

Noch ein weiterer Pluspunkt lässt sich für die Organisation selbst ableiten. Steht die Prozessqualität (und damit letztlich auch die ständige Wiederholbarkeit qualitativ hochwertige Produkte zu erzielen) im Vordergrund sind alle Bereiche diesem Ziel verpflichtet. Divergierende Bereichsinteressen treten in den Hintergrund, vielmehr etabliert sich eine gemeinsame Sicht auf das Prozessergebnis. Der Wille zur Kooperation wird gestärkt und Prozess und Prozessorientierung stehen mehr und mehr im Vordergrund. Diese kollaborative Prozesssicht öffnet überdies die Tür für andere Formen der Zusammenarbeit da die Starre traditioneller in Bereichssichten geteilter Prozesse aufgelöst wird. Es wird leichter Veränderungen (beispielsweise Änderungen am Prozess, neue Funktionalitäten am Produkt) in kleinen Pilotphasen auszuprobieren und agilere Formen des Prozessmanagements einzuführen.

[1] Die Standardabweichung wurde durch Six Sigma ein Teil prozessorientierter Kennzahlen. Im Kern beschreibt sie die Abweichung von einem Mittelwert.