Erfolgsmotor Fehlerkultur: Wie Innovation wieder möglich wird

April 7, 2021 Rupert Hierzer

Wir alle machen Fehler. Fehler sind die Quelle unserer Erfahrungen. Aus ihnen lernen wir. Sie fördern unsere Entwicklung und helfen uns Verhalten und Gewohnheiten zu hinterfragen und neue Lösungsstrategien zu entwickeln.

Versuch und Irrtum – schon seit Lucy ein Renner

So ist es kaum verwunderlich, dass „Versuch und Irrtum“ wohl das älteste und mit Abstand erfolgreichste Entwicklungsprinzip in der Menschheitsgeschichte repräsentiert. Wie hätten wir sonst gelernt, selbst Feuer zu machen, Getreide zu pflanzen oder wären gar auf die Idee zu kommen daraus Mehl zu mahlen und Brot zu backen.

Jede Erfahrung, die wir machen, enthält einen Lerneffekt für die Zukunft, der uns zu besseren Entscheidungen, Handlungen und Ergebnissen führt.

Ein praktisches Beispiel für das „Versuch und Irrtum“-Prinzip durchläuft dabei jeder Mensch in frühen Jahren. Kinder erlernen nach genau demselben Muster das Gehen. Losgehen, hinfallen, aufstehen, wieder losgehen. Kein Kind überlegt sich vorher einen Plan, was wohl die beste Vorgehensweise sein könnte. Es wird einfach ausprobiert, bis es gelingt. Versuch und Irrtum in Reinform.[1]

Sicherlich ist die Methode nicht für jede Eventualität geeignet. Für eine Prüfung werden ihnen wohl in den wenigsten Fällen fünfzehn Fehlversuche zugestanden bis sie irgendwann einmal das richtige Ergebnis erzielen. Im Großen und Ganzen schmälert das die Einsatzgebiete der Methode aber nur geringfügig. In vielen Arbeits- und Lebensbereichen können wir nach dem Motto Versuch macht klug eine Menge lernen.

Ohne dieses elementare Entwicklungsprinzip würden wohl immer noch Laternenanzünder durch die Straßen unserer Städte laufen, um allabendlich Gaslampen zum Leuchten zu bringen. Thomas Alva Edison, einer der genialsten und produktivsten Erfinder unserer Zeit, hat seine Forschungsarbeit zur Entwicklung der Glühlampe lapidar mit den Worten zusammengefasst:

»Ich bin nicht 10.000 Mal gescheitert, sondern ich habe erfolgreich 10.000 Varianten entdeckt, die nicht funktionieren.«

Erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in der Menschheitsgeschichte, haben wir begonnen dieses Entwicklungsprinzip gegen langwierige theoretische Überlegungen einzutauschen. In der Arbeit bringen wir endlose Zeit mit Meetings und Workshops zu, in denen vieles theoretisch bleibt. Teilweise über Monate werden Strategien und Konzepte erdacht, verfeinert, angepasst und erweitert. Bevor die erste wirkliche Handlung erfolgt, gehen unzählige Arbeitsstunden verloren. Ob es wirklich funktioniert, zeigt sich trotzdem erst hinterher.

Was bringt uns also dazu diese seit vielen Jahrtausenden erfolgreich erprobte Methode in unserem Büroalltag immer wieder zu vergessen?

Die Angst vor dem Fehler als Keimzelle institutionalisierten Perfektionismus

Schon als Kinder werden wir darauf trainiert, dass Fehler etwas Schlechtes sind. So ist sie tief in uns verwurzelt, die Angst vor dem Fehler. Wer kennt es nicht aus Schule und Studium: ein Fehler wird bestraft, ein Fehler führt zu schlechten Noten. Doch damit nicht genug. Im Arbeitsleben werden Fehler oftmals detektivisch aufgearbeitet, um den Verursacher zu identifizieren. Prima, Problem erkannt, Problem gebannt. Arbeitsgruppen werden eingerichtet, um ein zukünftiges Auftreten desselben Fehlers zu verhindern. Der Fokus auf Fehler bringt eine unangenehme Eigenschaft mit sich. Wir marschieren in die Richtung, auf die wir uns konzentrieren. Sprich, wer ständig mit der Angst lebt am Tisch nicht kleckern zu dürfen, bei dem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass genau das passiert. Ähnliches lässt sich auch in Organisationen beobachten.

Die Null-Fehler Kultur hinterlässt noch immer ihre Spuren

Besonders mit dem Aufkommen der „Zero Fault Tolerance“-Bewegung der 80er und 90er Jahre wurden Fehler stark dämonisiert. Seither fließt in deutschen Unternehmen enorm viel Zeit und Geld in die Planung Prozesse und Produkte so perfekt wie möglich zu gestalten.

So brachte der deutsche Maschinenbau-Konzern Schaeffler noch vor kurzem sein Selbstverständnis mit folgenden Worten zum Ausdruck[2][3]:

»Das Ziel unserer Qualitätspolitik erschöpft sich nicht darin fehlerhafte Produkte zu entdecken und auszusortieren. Unser Qualitätsdenken sorgt vielmehr dafür, dass Fehler erst gar nicht entstehen. Null Fehler ist deshalb das erklärte Unternehmensziel.«

Schaeffler steht mit dieser Denkweise nicht allein da. Nach wie vor leiden deutsche Unternehmen unter den Nachwirkungen der Null-Fehler Bewegung. Fehler werden verteufelt und deren Verursacher stigmatisiert. Anders betrachtet. Wer immer wieder negatives Feedback für Fehler bekommt, der wird seltener mit neuen Ideen um die Ecke kommen. Im Gegenteil: Eine negativ besetzte Fehlerkultur führt häufig zu Stress, Leistungsdruck und fehlgeleitetem Perfektionismus.

Menschen sind darauf programmiert negativ auf Fehler zu reagieren

Fehler sind per se weder gut noch schlecht. Allerdings sind wir biologisch, evolutionär und kulturell darauf programmiert auf Fehler negativ zu reagieren.

Evolutionsbedingt tragen wir noch die Erfahrungen unserer felltragenden Vorfahren in uns. Diese mussten schmerzlich lernen, dass selbst kleinste Fehler fatale Auswirkungen haben können. Sich beispielsweise zu weit vom Stamm entfernen, versehentlich das Feuer ausgehen lassen oder durch hohes Steppengras laufen, konnte im Zeitalter von Mammut und Säbelzahntiger bereits eine tödliche Bedrohung darstellen.

Hinzu kommen prägende kulturelle Einflussfaktoren wie unsere Erziehung und die Gesellschaft, in der wir leben, die unseren Umgang mit Fehlern definieren.

Nicht zuletzt definiert die eigene Persönlichkeit, repräsentiert durch in unserem Gehirn stattfindende biochemische Vorgänge, wie unser Fehlerverhalten aussieht. Beschuldigen wir andere oder suchen wir die Schuld zuallererst bei uns selbst.

Negativ besetzte Fehlerkultur ist innovationsfeindlich und agilitätshemmend

In Organisationen mit negativ besetzter Fehlerkultur mündet der Umgang mit Fehlern fast automatisch in ein personenzentriertes[4] Vorgehen. Mittels disziplinarischer Maßnahmen wird versucht das Auftreten des Fehlers zukünftig zu verhindern. Das vorherrschende Paradigma folgt der Suche nach einem individuellen Sündenbock. Diese Haltung verhindert im Wesentlichen eine objektive Analyse des Fehlers. Zudem werden systemische Fehler, d.h. inwieweit das vorherrschende System die Fehlerentstehung begünstigt, nicht erkannt und können nicht eliminiert werden. Das Resultat: weiterer Schaden ist zu befürchten.

Doch damit nicht genug. In einem fehlerfeindlichen Umfeld leidet auch die Innovationskraft des Unternehmens. Organisation und Mitarbeiter werden alles Erdenkliche tun, um das Auftreten von Fehlern zu vermeiden. Bedauerlich, denn unsere Kulturgeschichte ist voll von folgenschweren Erfindungen, die auf einen Fehler zurückgehen. Glühbirne, Dynamit, Porzellan, Mikrowelle, ja selbst Viagra hat uns ein Fehler geschenkt.

Der weltbekannte Erfinder James Dyson hat vor einiger Zeit während eines Deutschlandaufenthaltes seine Haltung zu Fehlern auf den Punkt gebracht[5]:

»Ich glaube an Fehler. In der Schule hat man uns gesagt: Ihr müsst immer die richtige Antwort geben, und zwar beim ersten Mal. Das ist absolut der falsche Weg. So lernen sie nichts außer der richtigen Antwort. Ich würde Menschen danach bewerten, wie viele Fehler sie gemacht haben. Je mehr Fehler, desto besser. Egal ob sie einen Film drehen, ein Buch schreiben oder eine Technologie entwickeln: Sie gehen doch immer los und wissen nicht genau, wo sie herkommen. Nur durch Fehler machen wir Entdeckungen.«

Besser werden durch Fehler machen

Den wohl größten Gefallen, den sich ein Unternehmen erweisen kann, ist das Eingeständnis der simplen Tatsache, dass Menschen eben Fehler machen. Nun muss sich keine Organisation dieser Welt mit einem fatalistischen Fehlerumgang anfreunden. Vielmehr sollte sie sich fragen, inwieweit Prozesse und Arbeitsdesign so gestaltet werden können, dass sie Fehler entweder grundsätzlich vermeiden, sie – bevor sie größeren Schaden anrichten – rechtzeitig erkennen oder ihre Auswirkungen minimieren. Der Vorteil dieser Denkweise liegt auf der Hand. Fehler werden als Teil des Systems betrachtet, der Umgang mit ihnen zugelassen und sogar als wünschenswert erachtet. Ein besonders positiver Nebeneffekt: Mitarbeiter haben keine Angst mehr einen Fehler zu machen. Innovation wird wieder möglich.

Fazit

Kein Wunder also, dass sich Unternehmen mit negativ Fehlerkultur zusehends schwer tun Innovationen auf den Markt zu bringen oder agile Zusammenarbeit im operativen Tagesgeschäft einzuführen.

Erst eine positive besetzte Fehlerkultur schafft die Voraussetzungen für Agilität und Innovationsfähigkeit. Das Agieren ohne Angst, ein Miteinander auf Augenhöhe und das gemeinsame Streben das System zu verbessern bilden die Eckpfeiler agilen Denkens. Nicht das Streben nach Perfektion darf im Fokus von Unternehmen stehen, sondern Fortschritt und Weiterentwicklung. Die Fähigkeit sich ständig zu hinterfragen und rasch auf Veränderungen zu reagieren.

  Geschrieben von

In seiner Arbeit schätzt Rupert vor allem das notwendige Brückenbauen: Eine Verbindung zwischen Altem und Neuem herzustellen, Veränderung zu initiieren und Menschen auf diesem Weg zu begleiten. Für ihn ist Entwicklung die aufrichtigste Form der Beratung. Rupert ist davon überzeugt, dass Veränderung notwendig ist, um Wachstum und Fortschritt zu ermöglichen. Seine Arbeit dreht sich darum, Menschen zu ermutigen, alte Denkmuster zu überwinden und neue Wege zu beschreiten.

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