In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten zwi­schen Kunden und Unternehmen dramatisch vervielfacht. Neben E-Mails, dem Inter­net, sozialen Plattformen, Smartphones, Tablets, der Cloud, dem Internet der Dinge (IoT – Internet of Things) existieren ebenfalls die immer noch altbekannten Kommunikationsmittel wie Dokumente, Dateien, Briefe oder Faxe. Diese Kommunikationsmittel (Abbildung 1) sind oft miteinander verbunden, aber nicht immer miteinander kompatibel.

Abb. 1: Vernetzung von Anwendungen und Kommunikationsmitteln; Quelle: Eigene Darstellung

Ständig müssen Routineprozesse wie die Prüfung von Datensätzen, das Erstellen von Berichten oder auch das Anlegen von Kunden- und Lieferantendaten durchgeführt werden. Die zunehmende Vernetzung oftmals inkompatibler Anwendungen führt dadurch zu hohen Transaktionsvolumina. An vielen Stellen geschieht diese Vernet­zung nach wie vor manuell durch menschliche Bearbeiter (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Vernetzungsdruck führt zu hohen Transaktionsvolumina; Quelle: Eigene Darstellung

Robotic Process Automation (RPA) als Alternative zu traditionellem Business Process Outsourcing

Die Entwicklung, Pflege und Programmierung von Schnittstellen sind oft teuer. Skripte oder Makros eignen sich meist nur für Einzelfälle. Das Outsourcing in Niedriglohnlän­der wiederum wird durch erhöhte Koordination und Kommunikation erschwert und bringt zudem das Problem der Zeitverschiebung mit sich. Darüber hinaus führt es regelmäßig zu Know-how- und Reibungsverlusten (nicht nur in der einmaligen Transi­tionsphase, sondern auch während des normalen Betriebs durch die sehr hohe Fluk­tuation in den Outsourcing-Ländern). Dies fördert Fehler und beeinträchtigt die Qua­lität der Prozessleistung und Prozessergebnisse.

Diese Ausgangssituation hat in letzter Zeit sehr stark das Aufkommen einer »neuen« Technologie im Werkzeugkoffer der Prozessoptimierung begünstigt: Robotic Process Automation. Im Kern handelt es sich um die Automatisierung von Vorgängen, die sich durch ein sehr hohes Maß an wiederkehrenden manuellen Arbeitsschritten aus­zeichnen. Roboter, sogenannte »Bots«, übernehmen eins zu eins die Tätigkeiten eines menschlichen Bearbeiters.

Beispiele dafür sind der Eintrag von per E-Mail eingegangenen Bestellungen in ein Bestellsystem oder das Ausfüllen von Formularen diverser Backoffice-Prozesse. Hier­bei handelt es sich aber nur um eine scheinbare Prozessoptimierung. Der Prozess an sich erfährt dabei keine Änderung, es findet lediglich eine Übertragung von Arbeit auf einen Roboter statt, die zuvor ein Mensch geleistet hat. Diese Roboter sind weder mit Sensoren noch mit Greifarmen ausgestattet. Sie sind für das Auge unsichtbar. Die Roboter, die im Büro ihren Dienst versehen, sind ein mehr oder weniger intelligentes Stück Software.

Wie innovativ ist Robotic Process Automation wirklich?

Nun, wirklich neu ist die Technologie nicht. Schon Anfang der 2000er Jahre kam bei der Soft­wareentwicklung Automatisierungssoftware zum Einsatz. Die Qualität der Software wurde dabei durch das systematische Ausführen von Testfällen sichergestellt, die in Form von »Capture and Replay«-Makros aufgezeichnet und automatisiert (und damit schneller und ressourcenschonender) ausgeführt wurden. Dasselbe Prinzip liegt RPA-Lösungen zugrunde. Derzeit verfügen wenige RPA-Lösungen über intelligente Funkti­onen und sie lassen sich nur für einzelne Prozessteile einsetzen. Einfache Software- Roboter können oft unstrukturierte Daten (beispielsweise eine individuell verfasste E-Mail-Bestellung) nicht verarbeiten und sind nicht flexibel genug, sich automatisch an Änderungen anzupassen. Das macht den Einsatz von Software-Ingenieuren not­wendig, welche die Bots warten und Änderungen an der Programmierung vornehmen müssen. Dies kann unter Umständen den realisierten Zeitvorteil zunichtemachen, zumal sich die Wartung typischerweise ja nicht auf einen Roboter beschränkt, son­dern auf alle im Prozess zum Einsatz kommenden Roboter erstreckt.

Um fair zu bleiben: so simpel kommen RPA-Lösungen schon lange nicht mehr daher. Derzeit experimentieren Anbieter mit intelligenteren RPA-Lösun­gen, die deutlich weitreichendere Funktionen anbieten. Dazu gehören beispielsweise die Erfassung unstrukturierter Daten, intelligente Texterkennung (OCR), die Mög­lichkeit zur Workflow-Orchestrierung, der Einsatz künstlicher Intelligenz (Machine Learning), die Verfügbarkeit von Omni-Channel-Technologien sowie umfassende Analysewerkzeuge. Der Einsatz dieser, unter dem Stichwort RPA zusammengefassten Technologien beinhaltet fast immer auch eine Anpassung bzw. Änderung des beste­henden Prozesses, sei es die Erweiterung der Aus- und Eingabemöglichkeiten eines Softwareprogrammes, die Zusammenführung verschiedener Channel-Formate an einen Analyseort oder die inhaltliche Anpassung von Schnittstellen.

Die Einführung von Robotic Process Automation in den Unternehmensalltag ist sehr verführerisch. Unternehmen versprechen sich durch den Einsatz von RPA-Software zurecht schnelle ökonomische Vorteile. Zu den Vorteilen zählen unter anderem die in Abbildung 3 aufgeführten Vorzüge.

Abb. 3: Typische Vorteile von Robotic Process Automation; Quelle: Eigene Darstellung

Werden menschliche Arbeitskräfte überflüssig?

RPA ist ideal für Aufgaben, die keine menschliche Intervention (RPA 1.0) benötigen. Diese Aufgaben nennen wir »unbeaufsichtigt« oder »unattended« (Abbildung 4). Das sind typischerweise stark regelbasierte Prozessschritte mit hohem Wiederho­lungscharakter, die noch dazu sehr strukturiert und für Software-Augen (und unsere »Bots« sind ja nichts anderes als eine mehr oder weniger intelligente Softwarelösung) gut erkennbar und interpretierbar sind.

Abb. 4: Spektrum der RPA-Lösungen; Quelle: Eigene Darstellung

Eine Vielzahl von Aufgaben benötigt jedoch immer noch menschliche Unterstützung oder Interpretationsleistung. Diese Prozessschritte bezeichnen wir als beaufsichtigte Aufgaben (RPA 2.0) oder »attended tasks« (Abbildung 103). Beispiele dafür sind dem Kunden zugewandte Aktivitäten wie die IVR-Unterstützung[1] bei Customer-Service- Prozessen, unterstützende Chat-Bots auf Webseiten oder Handlungsvorschläge auf Basis von Handlungen oder Datenbeschaffungsvorgängen, die in der Vergangenheit getätigt wurden. Diese Aufgaben benötigen immer noch eine menschliche Führung. RPA-Bots füllen hierbei nur eine unterstützende Rolle aus, die dem ausführenden menschlichen Bearbeiter monotone und zeitraubende Routinevorgänge abnimmt.

RPA steht auch für den Einsatz künstlicher Intelligenz

Daneben existieren viele andere Tätigkeiten, die menschlicher Kopfarbeit bedürfen. Typischerweise sind dies komplexere, hochwertige Aufgaben, die für uns ohnehin intellektuell interessanter sind als reine Routinetätigkeiten. Diese Tätigkeiten fallen in die Kategorie rein manueller (»manual tasks«) Aufgaben, für die »noch« keine Automa­tisierung möglich ist. Sie sollten jetzt jedoch nicht beruhigt durchatmen und sich mit der Sichtweise entspannt zurücklehnen, dass menschliche Denkprozesse eben nicht durch »Maschinen« zu ersetzen sind. In der RPA-Community diktiert eine gänzlich konträre Denkweise das Handeln. Man experimentiert dort vielmehr mit ersten, zuge­gebenermaßen noch sehr eingeschränkten, KI-Lösungen (Künstliche Intelligenz), die den vollständigen Ausschluss menschlicher Handlungen (RPA 3.0 und RPA 4.0, siehe Abbildung 4) zum Ziel haben.

Der kluge Einsatz von RPA-Lösungen kann signifikante Kosteneinsparungen möglich machen

Untersuchungen[2] zeigen, dass der Einsatz von RPA an den richtigen Stellen im Pro­zess durchschnittliche Kostenersparnisse von 25 bis 65 % realisieren kann. Auch die teilweise rasanten Amortisationszeiträume[3] (oftmals hat sich eine RPA-Lösung bereits nach sechs bis neun Monaten amortisiert) zaubern so manchem Manager ein glückliches Lächeln ins Gesicht.

Natürlich sind diese Erfolgsgeschichten nur möglich in Prozessen, die ein hohes Transaktionsvolumen und einen gut strukturierten Prozessverlauf aufweisen. Mit »strukturiertem Prozessverlauf« sind Prozesse gemeint, die zwar alle Arten von Ein­schränkungen wie Medienbrüche oder inkompatible, nicht integrierte Anwendungen beheimaten können, aber immer wieder an denselben Stellen in Dokumenten, E-Mails oder Systemen Informationen verarbeiten. Ist hier keine Einheitlichkeit in der Infor­mationsstruktur gegeben, ist das selbst für menschliche Augen eine Herausforderung, für »Roboteraugen« jedoch noch ein K.o.-Kriterium. Zwar experimentieren führende RPA-Anbieter mit den bereits erwähnten KI-Softwarelösungen, um aus inkohärenten Informationen Zusammenhänge abzuleiten und die Intention des Kunden festzustel­len. Jedoch lassen sich diese »Piloten« aufgrund der recht hohen Fehlerquoten noch nicht sinnvoll betriebswirtschaftlich nutzen.

Die Anwendungsgebiete für RPA sind dabei so vielfältig wie die Prozesse selbst. Überall dort, wo strukturierte Prozesse stattfinden, kann RPA eingesetzt werden. Die Software- Roboter können Daten extrahieren, verändern und Berichte erstellen, Formulare aus­füllen, Daten kopieren, einfügen und verschieben, Informationen aus mehreren Syste­men und aus strukturierten Dokumenten lesen und verarbeiten oder E-Mails öffnen und Anhänge verarbeiten, um nur einige Anwendungsbeispiele zu nennen.

Braucht Prozessoptimierung überhaupt noch menschliche Mitarbeiter?

Bei allem Reiz, den diese neue Technologie versprüht, so birgt sie doch auch die Gefahr, uns träge zu machen und die eigentlichen Kernaufgaben kontinuierlicher Prozessverbesserung vergessen zu lassen. Erinnern wir uns, dass es sich bei RPA um eine non-invasive Technologie der Prozessoptimierung handelt. Der Prozess und alle mit ihm verbundenen Informationsträger und Systeme bleiben beim Einsatz von Bots unverändert. In anderen Worten, eine nachhaltige Verbesserung (Standardisierung von Dokumenten, Behebung von Medienbrüchen, Eliminierung von Fehl- und Blind­leistungen etc.) und damit eine echte Prozess-Weiterentwicklung findet nicht statt. Ein etwas salopp formulierter Vergleich wäre das Bild eines Patienten, der sich auf einer Krücke langsam vorwärtsbewegt und dem eine zweite Krücke an die Hand gege­ben wird, sodass er schneller laufen kann. Eine echte »gesundheitliche« Verbesserung wird man damit jedoch nicht erreichen.

Damit wird es in Zukunft noch mehr darauf ankommen Prozesse durch menschliche Bearbeiter auf eine Automatisierung vorzubereiten, noch genauer zwischen echter Verbesserung und Automatisierung zu unterscheiden und zu entscheiden an welchen Stellen sich der Einsatz von Automatisierungswerkzeugen amortisieren kann.

RPA treibt die Prozessdigitalisierung voran

Auf der Habenseite bewirkt RPA eine zusätzliche Digitalisierung der Prozesse, da anstelle menschlicher Interaktion ein digitaler Bot waltet. Ein Bot vermerkt u. a. sehr genau, zu welchem Zeitpunkt er einen Vorgang beginnt, welcher Art die von ihm aus­geführte Tätigkeit ist, wohin er die Information übertragen hat, wie lange er für den gesamten Vorgang gebraucht hat und welche Fehler dabei aufgetreten sind. Diese Informationen sind wichtig, um Fehler zu finden, aber auch, um Betrug oder andere Versuche, die Arbeit eines Roboters zu untergraben, zu erkennen. All diese Informa­tionen werden in entsprechenden Bot-Logfiles dokumentiert und stehen für weitere elektronische Auswertungen und Analysen zur Verfügung. Darüber hinaus finden diese Daten Anwendung in der Modellierung und Vorhersage zukünftigen Prozessverhaltens (beispielsweise durch Process Mining). Sie schließen Prozesslücken, meist an den Stellen, an denen menschliche Bearbeiter zuvor deutlich weniger Prozessdaten hinterlassen haben.

[1] Interactive Voice Response

[2] Weissenberg Group, www.weissenberg-solutions.de/was-ist-robotic-process-automation (Zugriff: 18.08.2019).

[3] Everest Group, Seizing the Robotic Process Automation (RPA) Market Opportunity, 2015.