Viele denken sich nun sicherlich und zurecht: „Was soll diese Überschrift bedeuten?“. Nun – ich beginne jetzt nicht direkt wieder mit den herkömmlichen lästigen Themen wie „Digitalisierung“, „Corona“ oder „New Work“– obwohl mein Anliegen sehr viel damit zu tun hat – Nämlich mit dem Erkennen und Verstehen des nicht unwesentlich Unsichtbaren.

Sehen wir uns zunächst einmal das Sichtbare an:

Um die Weihnachtszeit 1938 verdichteten sich die Anzeichen, dass Urankerne durch Beschuss zerbrechen können. Für die damalige Physik war das eine unglaubliche Annahme. Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Strassmann lieferten die wissenschaftlichen Beweise dafür.

Durch die Spaltung eines Kerns scheint unsichtbare Energie auszutreten. So viel, dass wir Menschen es Jahrzehnte lang im Sommer kühl, im Winter warm und in der Nacht hell hatten. Dass wir unsere Wirtschaftssysteme, unseren Konsum und unsere Sehnsucht nach Gewinn hochfahren konnten. Heutzutage wurde diese Form der Energiegewinnung, zumindest vertraglich, weitestgehend zurückgeschraubt. Wir legen mehr Wert auf Umwelt und Ökologie, gehen achtsamer mit uns und unserer Umwelt um. Trotzdem musste erst Corona kommen (ja ich weiß, da ist es wieder…), um wenigstens das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es Dinge, Gefahren und nicht Unwesentliches gibt, was der Mensch einfach nicht sieht – und deshalb oft die Relevanz verkennt.

Das natürliche Phänomen, welches uns Hahn, Meitner und Strassmann im Winter 1938 bereits zeigten, beschreibt in seinen Grundzügen unsere Situation: Altes, Bestehendes und Bewährtes wird aufgebrochen und es entsteht neue, unsichtbare Energie, die genutzt werden kann.

Sind wir doch mal ehrlich: Unser ganzes Leben zehrt davon, dass wir Löcher aufreißen oder aufgerissen bekommen und wir aus diesen Löchern Beete gestalten, aus welchen später die Errungenschaften unseres Lebens sprießen sollen. Ob die Löcher nun der Abbruch eines Studienganges, die verpasste Chance als Young Professional, der Tod eines geliebten Menschen oder eine Depression sind, so wird eines immer wieder klar: Irgendwann kommt für jeden ein Punkt im Leben, da geht es einfach nicht so weiter, wie man es sich vorgestellt hat. Vielleicht verliert man die Nerven und ist unglaublich traurig oder gekränkt. Von Anderen, von sich oder einfach nur von der Tatsache, dass das Schicksal einen selbst getroffen hat. Meistens macht man trotzdem weiter und nach einer gewissen Zeit spürt man tief in sich ein befreiendes Gefühl, ein Gefühl der Wehmut, man schwelgt in Erinnerungen und erkennt oft für sich selbst: es war gut, genau so wie es passiert ist.

Im wirtschaftlichen Kontext wird an dieser Stelle ebenso klar, dass disruptive Veränderungen wie nun Mal beispielsweise der Stillstand unseres „Jahrhundert-Konsums“ während der Corona-Krise, zu wirtschaftlichen Engpässen führen. Einer Studie der MSR Consulting Group zufolge erwartet etwa jedes vierte Unternehmen langfristige Folgen. Jedes sechste Kleinstunternehmen sieht sich sogar bereits jetzt in seiner Existenz bedroht. Die Lage ist ernst. Konsum und Verhalten ändern sich, Strukturen werden aufgerissen, Prozesse laufen anders ab und aus etwas zunächst Unsichtbarem, wird plötzlich etwas Sichtbares.

Was können wir von diesen Erfahrungen nun mit ins Unsichtbare nehmen?

Kerne spalten sich, Energie strömt aus.

Menschen erfahren Dinge und wachsen daraus.

Schmerz – Glück.

Corona – Home-Office. Okay, Scherz.

Aber Eines ist klar: Krankheit – Zerstörung – Schmerz – Anstrengung – Zerwürfnis bringt immer etwas Neues mit sich: Mut – Stärke – Resilienz – Denkanstöße – Neue Freundschaften – Neue Geschäftsfelder.

Menschen, die hart von den Symptomen der aktuellen Veränderung getroffen wurden, werden sicherlich spätestens jetzt den Tab schließen. Aber auch da, ehrlicher Weise: Wir leben im Überfluss. Vorwiegend jene Branchen, welche die grundlegende Versorgung des menschlichen Lebens unterstützen, hatten während aller bisheriger Krisen die höchsten Erträge. Der Luxus, an einem sonnigen Sonntagnachmittag in meinem Lieblingscafé selbstgebackenen New York Cheesecake zu essen und einen Zimt-Latte Macchiato zu trinken, war mir nicht vergönnt. Stattdessen gönnte ich mir – Nein, keine Palette Toilettenpapier – Zimmerpflanzen, Blumenerde und ein Massagekissen. Andere Branchen haben eben auf ein Pferd gesetzt, welches durch unsere Verhaltensänderung nicht oder sogar positiv betroffen war. Glück – oder eben gute und vorausschauende Geschäftsstrategie.

Das alles nur wegen der Gesundheit Anderer? Ist Geld wichtiger als Leben?
Zack – da schließt sich auch der letzte Tab.
Bevor wir zur Frage kommen, was Leben eigentlich ist, komme ich zum eigentlichen Punkt:

Brüche sind ein Teil von uns. Verändert sich ein Bestandteil unseres Kontextes, so führt dies unweigerlich zu einer Veränderung an anderer Stelle. Ein drastischer Einschnitt kostet uns entweder Geld, Kraft oder Lebensqualität. Lege ich die Arbeitswelt im großen Stil lahm, verändere ich unweigerlich die Privatwelt der Menschen – ob positiv oder negativ. Die Dinge stehen miteinander in einer dynamischen Verbindung. Ändert ein Zahnrad im System seine Drehrichtung, so bringt dies unweigerlich die gesamte Dynamik ins Ungleichgewicht. Ein sogenannter disruptiver Einschnitt wird im heutigen Verständnis, im Zusammenhang der Digitalisierung, als neue Technologien und die Verschiebung der Geschäftsfelder bezeichnet. Es steckt jedoch viel mehr Disruption und damit auch Energie in unseren Leben, als wir alle glauben. Energie, die zunächst unsichtbar ist, welche wir jedoch für uns und unsere Entwicklung nutzen können, wenn wir denn je tiefer als nur an der Oberfläche scharren.

Wieso nutzen nur so wenige Menschen und Unternehmen dieses vermeintlich unwesentliche Wissen?

I don ́t know. Was ich aber sicher weiß:

Als Unternehmensberaterin erlebe ich es viel zu oft, dass Menschen versuchen an Stellschrauben zu manipulieren, welche durch die Drehrichtung anderer, tiefer verankerter Zahnräder blockiert sind. Es wird lieblos, ungesteuert und halbherzig an verschiedenen Stellen in Unternehmen an der Oberfläche gekratzt und sich gewundert, wieso man überall auf neue Hindernisse der Veränderung stößt. Das Verständnis für den systemischen Ansatz fehlt. Der Nährboden aus Politik, Macht und Angst lässt die Saat im Keim ersticken. Die „Kernspaltung“ bleibt aus und alles geht weiter wie bisher, vielleicht mit einem neuen Tool, oder angepassten KPIs. Die Ursache des eigentlichen Problems besteht weiterhin. Die Erkenntnis darüber, dass die Natur, das Unsichtbare und scheinbar Unwesentliche, oftmals der entscheidende und beispielhafte Faktor ist, bleibt aus. Meine Beauftragung als Beraterin endet – und es folgt der gleiche Prozess, andere Abteilung, anderes Unternehmen.

Disruption tut weh, ist anstrengend und lässt viele Dinge, Firmen, Erdteile oder Menschen in ebenso viele Löcher fallen. Diejenigen die es aber schaffen, ihr Beet gemeinsam zu errichten und den Boden mit Nährstoffen zu versetzen, die werden es auch schaffen, den Kern ihrer Saat aufzubrechen und das Neue wachsen zu lassen. Mit Planung, Pflege und Schnitt.